Indische Arbeitskräfte auch in Russland – Zwischen Bedarf, Quote und Realität
Indische Arbeitskräfte auch in Russland – Russland erlebt derzeit einen strukturellen Arbeitskräftemangel – insbesondere in der Industrie, im Transport- und Logistiksektor sowie im Textilbereich. Um diese Lücke zu füllen, schaut das Land zunehmend nach Südasien, vor allem nach Indien. Das Thema „indische Arbeitskräfte in Russland“ gewinnt dabei an wirtschaftlicher wie politischer Bedeutung – nicht zuletzt, weil es von widersprüchlichen Zahlen, ehrgeizigen Plänen und einer strengen Quotenregelung begleitet wird.

Millionenpläne und Realität: Wie viele indische Arbeitskräfte kommen wirklich?
Am 9. Juli 2025 erklärte Andrej Besedin, Präsident der Industrie- und Handelskammer des Urals, gegenüber dem Nachrichtenportal EAN, dass bis zum Jahresende rund eine Million Fachkräfte aus Indien nach Russland kommen könnten. Er bezog sich dabei auf „indische Kollegen“, ohne nähere Quellen zu nennen.
Am selben Abend stellte das Arbeitsministerium klar: Die Arbeitsmigration aus visumpflichtigen Ländern wie Indien ist durch eine feste Quote geregelt. Für 2025 liegt die Gesamtquote bei 234.900 Arbeitsmigranten, davon entfallen 71.817 Plätze auf indische Staatsangehörige. In der Region Swerdlowsk – aus der die Initiative ursprünglich kam – sind bislang erst 13 % dieser Quote ausgeschöpft.
Wer beschäftigt indische Arbeitskräfte – und warum?
Einer der großen Arbeitgeber ist die BTK Group, ein russischer Textilhersteller mit staatlichen Großaufträgen, der an mehreren Standorten wie Saratow oder Altai Uniformen und Arbeitskleidung produziert. Dort arbeiten bereits mehrere Hundert Näher aus Indien.
Ein weiterer ist Ozon, einer der führenden russischen Onlinehändler mit großflächiger Logistikstruktur. In Zentren wie Pushkino (bei Moskau) kommen Gruppen von indischen Arbeitskräften über Subunternehmen zum Einsatz – unter anderem in Verpackung, Kommissionierung und Versand.
Beide Firmen eint: Sie haben die Struktur, um Anträge bei den russischen Migrationsbehörden professionell durchzubringen – mit eigener Rechtsabteilung, geregelter Unterkunft und Erfahrung im Quotenverfahren.
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Russland vs. Deutschland – zwei Wege zur Arbeitsmigration
Wer legal als Arbeiter nach Russland kommen will, durchläuft ein mehrstufiges Verfahren:
- Beantragung durch einen registrierten Arbeitgeber
- Genehmigung der Quote in der Zielregion
- Ausstellung von Arbeitsvisum, medizinischer Untersuchung, Registrierung und Sprachtest
- Der Arbeitsvertrag wird erst nach Abschluss der Formalitäten wirksam
Im Vergleich zu Deutschland ist das Verfahren straffer, strenger und auch klarer geregelt. Während Deutschland immer wieder für seine praxisferne oder asymmetrische Einwanderungspolitik kritisiert wird – einfacher rein, wenn man nicht arbeiten will, als wenn man will –, verfolgt Russland eine eher unternehmerfreundliche Linie: Der ausländische Arbeiter kommt zum Arbeiten. Punkt.
Für den russischen Arbeitgeber bedeutet das: Man kann zeitlich befristet planen, hat aber klare Kontrolle über den Beschäftigungszeitraum. Frühzeitige Kündigungen durch den Arbeitnehmer sind selten, weil sie sofort den Aufenthaltsstatus kosten würden. Verträge lassen sich verlängern – aber nicht auf Dauer. Das System ist nicht auf Integration oder Familiennachzug ausgelegt, sondern auf temporäre Fachkräftenutzung. Und das passt oft auch besser zum heutigen Geschäftsalltag.
Das Migrationszentrum Sakharovo
Erfahrungsbericht: Ich kenne das zentrale Migrationszentrum Sakharovo – sowohl aus eigener Erfahrung als auch durch die Begleitung von Arbeitskräften im Auftrag von Kunden. Der Komplex liegt rund 50 km südlich der Moskauer Stadtgrenze, also ganz weit draußen und buchstäblich auf der grünen Wiese. Er wurde 2015 eröffnet, um alle Migrationsangelegenheiten der Stadt Moskau an einem Ort zusammenzuführen – modern, digitalisiert, zentral organisiert.
Der offizielle Name lautet:
Многофункциональный миграционный центр Сахарово
Mnogofunktsionalnyi migratsionnyi tsentr Sakharovo
Multifunktionales Migrationszentrum Sakharovo
Zuvor lief alles dezentral über Polizeiwachen und Bezirksbüros – oft chaotisch, mit langen Wartezeiten, aber manchmal schneller, weil man eine gute Agentur kannte. Der Vorteil: kürzere Wege. Heute ist der Ablauf klarer, aber auch aufwendiger. Ein Termin in Sakharovo kostet meist einen halben bis ganzen Tag – je nach Verkehr und Wartezeit. Das Personal ist freundlich und professionell, aber die russische Bürokratie bleibt präzise: Ein Komma an der falschen Stelle kann reichen, um abgelehnt zu werden.
In letzter Zeit beobachte ich: Agenturen verschwinden, ihre Dienste werden auf Plattformen wie Avito angeboten. Viele indische Arbeitskräfte kommen heute direkt in Firmenkleidung, gemeinsam mit dem Arbeitgeber.
Warum Russland Näher aus Südasien rekrutiert
Die Textilindustrie in Russland hat sich stark verändert. Viele Kombinate der Sowjetzeit existieren nicht mehr. Heute dominieren große Hersteller mit staatlichen Aufträgen – oft für Behörden, Armee, Bahn, Öl- oder Bauunternehmen.
Gerade dort werden indische und andere südasische Näher zunehmend gebraucht: effizient, belastbar, industriell geschult. Vor allem Regionen wie Ivanovo, Kursk und Altai profitieren davon.
Die besten Näher der Welt kommen aus …
Indien, Bangladesch, Sri Lanka und Nepal – diese vier Länder sind international führend in der industriellen Textilfertigung.
In Tamil Nadu (Indien) gibt es ganze Regionen, die auf Nähen, Textilproduktion und industrielle Serienfertigung spezialisiert sind. Gujarat liefert Fachkräfte mit technischer Ausbildung, Punjab kombiniert Handwerk mit Massenfertigung.
Bangladesch – besonders rund um Dhaka – gehört zu den größten Bekleidungsproduzenten der Welt: T-Shirts, Jeans, Berufsbekleidung.
Sri Lanka liefert weniger Volumen, dafür hochwertige Spezialtextilien, z. B. für den Export in die EU.
Nepal gilt als kleiner, aber zuverlässiger Lieferant. Viele Näher dort haben ihre Ausbildung über Kooperativen oder internationale Programme erhalten.
Die idealen Herkunftsregionen für die Textilindustrie
Für russische Unternehmen sind diese Herkunftsregionen ideal: trainiert auf Geschwindigkeit, sauberer Verarbeitung, große Erfahrung im Umgang mit internationalen Produktionsnormen.
Der Blick über den Tellerrand
Wer sich mit internationaler Arbeitsmigration befasst, schaut oft in Richtung Westen – USA, Kanada, Deutschland. Dass gleichzeitig auch Russland aktiv indische Fachkräfte rekrutiert, wird bei uns kaum wahrgenommen.
Doch es passiert: Indien und Russland arbeiten eng zusammen – wirtschaftlich, diplomatisch, in Organisationen wie BRICS. Das beeinflusst auch das Recruiting. Der Visaprozess ist formell, aber berechenbar. Integration ist nicht vorgesehen, dafür aber ein schnelles, zweckorientiertes Verfahren.
Für Leser aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bietet dieser Blick über den Tellerrand einen interessanten Perspektivwechsel: Indische Fach- und Arbeitskräfte gehen nicht nur in den Westen – sie arbeiten auch in Russland.
Wie viele indische Arbeitskräfte gibt es derzeit in Russland?
Foto von EqualStock auf Unsplash

Über den Autor:
Philipp Rowe ist internationaler Unternehmensberater, Recruiter, Polyglott, Business-Nomade, sowie der Gründer und Herausgeber von arbeitswelten.me. So verbindet er Menschen und Märkte – zwischen Südasien, Osteuropa, Dubai und Deutschland. Mit der Seite arbeitswelten.me schaut er über den Tellerrand der Personalsuche hinaus und nimmt jene, die sich dafür interessieren, mit auf die Reise.